Bücher über den Tod haben eine beruhigende Wirkung auf mich, denn sie geben mir einen festen Punkt, nach dem ich meine Prioritäten ausrichten kann. Sie zeigen mir, was wirklich wichtig ist und über welche Nebensächlichkeiten im Leben sich Grübeln und Sorgen nicht lohnen.
Sie richten meinen Blick wieder gerade aus. So sind Bücher über das Sterben im Grunde Bücher über das gute Leben. "Bevor ich jetzt gehe" ist für mich so ein Buch.


Bevor ich jetzt gehe
(Original: When Breath becomes Air)

Autorin: Paul Kalanithi
Verlag:Knaus
ISBN: 978-3-8135-0725-6
Erscheinungsjahr: 2016 1942
Preis: 19,99€
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Das erste Leben des Paul Kalanithi

Paul Kalanithi nahm ein Medizinstudium auf, um den Menschen auf der Schwelle zwischen Leben und Tod zur Seite zu stehen. Er hat sich der Herausforderung und Verantwortung gestellt. Er stand kurz vor seinem endgültigen Abschluss als Neurochirurg. Mit 36 Jahren wurde bei ihm ein fortgeschrittener Lungenkrebs diagnostiziert. Als erfahrener Arzt wusste er, was es bedeutet: Ihm bleibt nicht viel Zeit. Seine Karierepläne sind nichtig.

In "Bevor ich jetzt gehe" schreibt darüber, wie sich sein Verständnis von Leben und Tod entwickelt hat. Über die ersten Erfahrungen mit dem Thema in Literatur und Philosophie während seines ersten Studiums der Biologie und englischen Literatur in Havard. Über seine ersten Besuche in einem Heim für Hirnpatienten und seine Entscheidung, Medizin zu studieren, als das Fachgebiet, das Leben und Tod in der Praxis verbindet. Keine Gedankengebäude mehr und keine Theorie.

Kalanithi entscheidet sich zur anspruchsvollen Laufbahn des Neurochirurgen, während er seine Mitstudenten und Kollegen links und rechts die leichteren Wege wählen sieht. Seine Aufgabe erfordert lange Arbeitszeiten und schwerwiegende Entscheidungen.
Kalanithi muss den Spagat lernen zwischen seinem Bedürfnis, auf jeden neuen Patienten neu eingehen zu wollen und der kühlen Effizienz, die das Arztsein erfordert. Er entscheidet nach einem einschneidenden Tod, in Zukunft Akten wie Patienten und nicht Patienten wie Akten zu behandeln. Und dann ist er selbst der Patient.

Auf der anderen Seite

Mich haben der Mut und die Klarheit, mit denen Kalanithi den Rest seines Lebens gestaltet, beeindruckt. Seine und seiner Frau Entscheidung, trotz der Umstände noch Eltern zu werden, finde ich Vorbildhaft. Pauls Beispiel zeigt uns einen anderen Weg, mit der Nachricht von einer Krankheit umzugehen, die das Leben ganz sicher bis auf einige Jahre verkürzt.

Der typische Narrativ ist dieser: Der Krebspatient macht eine Liste der Dinge, die er unbedingt noch machen und sehen will. Diese wird dann unter Aufbringung aller Kräfte und in entsprechender Hektik abgearbeitet.

Pauls Geschichte jedoch geht so: Nachdem alle langfristigen Pläne unmöglich geworden sind, stellt er sich mit Hilfe seiner Onkologin die Frage, "Welchen Sinn gebe ich meinem Leben?". Es wird unmöglich, den Arztberuf auszuüben, also füllt er seine Tage mit dem Schreiben. Er hatte immer schreiben wollen, später, wenn er Rentner wäre. Mit der Krankheit wurde das Schreiben zu der noch möglichen Tätigkeit, die sein Leben mit Sinn erfüllte. Um diesen Punkt werden die Therapieschwerpunkte und wird die Behandlung gestaltet.
Keine hektischen Reisen nach da und nach dort, kein Zwang zu einer Reihe von Besuchen. Die ganz einfachen Tage in der Vertrautheit seines Zuhauses.

Was bleibt

Wir sind gesund und erwarten gesund zu bleiben. Krankheiten und Verletzungen geschehen nur den anderen. Niemand plant eine Krebserkrakung oder einen schweren Unfall in sein Leben mit ein. Und doch kann es uns plötzlich selbst betreffen. Die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht so gering. Mir hat das Buch Rat und Mut gegeben, diese Möglichkeiten nicht zu verdrängen. Ich würde es erneut zur Hand nehmen, wenn ich in so eine Situation komme.

Für wen?

Ich empfehle es jedem der in die Stimmung kommt, sich mit dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen.
Und besonders, wenn man so wie Paul, neue Prioritäten anhand der verbleibenden Zeit setzen muss. Das Buch ist sehr ehrlich geschrieben. Ich bin nicht in der Situation aber ich denke, es könnte ein Trost sein.