Das Thema offene Beziehung gewinnt an Aufmerksamkeit.
Oder ist es nur meine Filterblase, die mich das denken lässt?
Die Veröffentlichung des Buches „Wie wir lieben“ von Friedemann Karig spricht für meine Wahrnehmung, und auch meine Erfahrung auf der Buchmesse, auf der das Buch, sagen wir, begehrt war.


Wie wir lieben - Vom Ende der Monogamie

Autor:Friedemann Karig
Verlag: Blumenbar
ISBN: 978-3-351-05038-2
Erscheinungsjahr: 2017
Seitenzahl: 304
Preis: 20€
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Vom Ende der Monogamie

Karig räumt ein, dass der Untertitel des Buches Provokation ist. Dennoch behandelt es den Umstand, dass wir so frei sind wie nie, unsere Beziehungen zu gestalten. Und die Frage, inwiefern das die traditionell monogame Beziehungsform obsolet macht.

Mit zunehmender sexueller und moralischer Freiheit, entwickeln wir uns weg von monogamen Beziehungsformen, so die These. Schwangerschaften ist die Unplanbarkeit genommen und die Kirche hat nur noch denen etwas zu sagen, die es sich freiwillig anhören möchten.

Mussten wir uns als Menschen erst die Monogamie auf die Fahnen schreiben, als wir sesshaft wurden, und Gesellschaften bildeten, mit der Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit - so haben wir nun vielleicht wieder die Freiheiten erreicht, die Voraussetzung sind, um auch in anderen Beziehungsformen mit mehr als einem Paar zur Grundlage, Familien bilden zu können.

Vieldimensional nähert sich Karig dem Thema aus den Richtungen Biologie, Soziologie, Philosophie, Politik; evolutionstheoretisch, psychologisch, pragmatisch und mit Gefühl.
Das Buch tastet sich von trockenen biologischen Studien, die aber auch deshalb zumindest wenig Trotz erregen, vor zu ganz praktischer Erfahrung, wie Eifersucht, bis es zuletzt bei den kontroversen Fragen ankommt, was Treue und Freiheit bedeuten, und dabei auch auf zwei typische Gegenreflexe reagiert („die wollen doch nur ständig Sex“ und „Das sind doch eigentlich nur Mega-Egoisten“).

Dass das Buch gegen Ende auch häufige Vorurteile nennt und die Tabus aufzeigt, macht es rund. Es zeigt, dass die Beziehungsform lange nicht so akzeptiert ist, wie man es sich in seiner Echokammer eines aufgeschlossenen Freundeskreis denken mag. Dass da noch viel Unsicherheit und vielleicht sogar Angst herrschen.

Diese Sachlichen Abschnitte sind vor allem Rezeption des zeitgenössischen Diskurs. Sie ziehen sich manchmal, können überfordern. Der thematische Umfang des Buches ist zu loben, nachdem man zufrieden darauf zurückblicken kann. Er macht es aber auch zur Herausforderung, diesen Zustand zunächst zu erreichen.

Geschichten Erzählen

Karig will keinen Ratgeber und keine Beurteilung schreiben. Aber dennoch eine Auseinandersetzung. Und er will die Geschichten der Paare erzählen.

Wenn jemand das Buch in die Hand nimmt, der einfach neugierig ist auf andere Beziehungskonzepte, dann wird es ihm leicht gemacht, sich herein zu finden. Denn mit einer Geschichte fängt es an.
Von Paul und Jelena, deren Beziehung wir im Buch in vier wiederkehrenden Abschnitten begleiten (ihre Geschichte ist auch als Reportage in der Süddeutschen Zeitung erschienen).
Die Geschichten und die Sachabschnitte wechseln sich im Buch ab.

Vor allem diese Erfahrungsberichte sind wichtig.
Für die einen machen sie weniger allein, für die anderen sind sie eine konkretere Diskussionsgrundlage, als die eigene Vorstellung und welche Schreckensbilder auch immer, die einen beim Begriff „offene Beziehung“ erfassen mögen.

Zu monogamen Beziehungen hat man viele Vorbilder. Sie gelingen oder scheitern aus verschiedenen Gründen. Die Intuition ist durch vielfältige Eindrücke informiert, der Erfahrungsschatz reich. Für jede Situation hat man mehr als eine Idee, wenn man einem Freund raten müsste, der hinein gerät.

Diese Intuitionen hat man für eine offene Beziehung nicht, nicht den kollektiven Erfahrungsschatz, sondern eher das Gefühl, das Rad ständig neu zu erfinden. Hier können die Geschichten im Buch das Aha-Erlebnis liefern, dass manche Herausforderung doch typisch ist und dass man damit alles andere als allein ist.

Das Buch ist interessant für viele Altersklassen. So hätte ich zum Beispiel nicht gedacht, dass gerade Passagen übers Heiraten mir neue Gedankenansätze bringen würden. Die beschriebenen Beziehungen reichen vom Teenageralter bis zu 50-jährigen.

Zweitlesefaktor

9/10. Das Buch behandelt viele Ansätze, aber wenn man erst einmal weiß, wo alles ist lässt sich leicht darin Nachschlagen. Auch halte ich es für interessant, einmal nur die Geschichten hintereinander, oder nur die theoretischen Ansätze zu Lesen.

lohnt

Für mich als jemanden, der sich schon länger mit dem Thema befasst, war manches nicht neu. Ich denke aber, dass Das Buch mit seiner Mischung aus Theorie und Erfahrungswerten für Interessierte einen guten Einstieg in das Thema nicht-monogame Beziehungen liefert.


Vielen Dank an den Aufbau-Verlag, für das Rezensionsexemplar.