Familienroman, historisch
Wie die Geschichte beginnt
Alexandra wohnt mit ihrer Großmutter in der Großmutterwohnung und isst Bratkartoffeln mit Mettwurst, da stürmt ihre Freundin herein: In Berlin wird die Grenze geöffnet! Die beiden Mädels müssen dorthin. Und dort, inmitten der Menschenmassen, trifft Alexandra Oliver, den Westberliner, und beide sind sich gleich vertraut. Sie möchte Oliver unbedingt ihrer geliebten Großmutter vorstellen. Doch die reagiert völlig unerwartet auf den jungen Mann. Es muss etwas mit dem zu tun haben, was sie Alexandra nie erzählt hat.
Wir springen zurück in der Zeit und begleiten Paula, 1912, im Sommer ihrer ersten Liebe. Sie ist leidenschaftliche Sozialdemokratin, und alle jungen Herren in ihrem Freundeskreis sind es auch. Sie will studieren, Rosa Luxemburg nacheifern, doch es soll ein Krieg heraufziehen, der diese Jugendwünsche töricht wirken lässt. Und der Mann, den sie anhimmelt - Clemens, dessen Talent zum Reden von allen anerkannt wird, die ihm begegnen - trägt eine gefährliche Leere im Herzen. Wie entwickelt sich die Jugendliebe in den folgenden wechselhaften Jahren, die zwei große Weltkriege bringen?
Meinung
Ich möchte dieses Buch deutlich allen empfehlen, die sich für die Deutsche Geschichte, vor allem auch die der SPD oder Arbeiterbewegung interessieren oder denken, dass es ihnen interessant werden könnte! Ich halte es für einen prima Einstieg in dieses Themengebiet oder für eine prima Auffrischung. Denn die Geschichte fesselt und so prägen sich die Ereignisse gut ein. Außerdem empfehle ich es euch da draußen, die das Thema Liebe in Kriegszeiten reizt.
Es wird nicht nur die erste Liebe beschrieben, sondern auch die gereifte. Schön, wenn Autoren das tun, damit Perspektiven entstehen, wie die Sache denn weitergehen könnte, wenn sich zwei mal gekriegt haben. Im eigenen Leben gehen ja an der Stelle dann auch nicht die Lichter aus, sondern eine andere Art vertrauter Liebe entsteht mit der Zeit, und auch ganz andere Arten von Problemen als die, mit denen man bei einer Eroberung zu tun hat. Es geht in der Geschichte auch nicht nur um den jugendlichen Mut, die Welt zu verbessern, sondern es wird beschrieben, wie man sein ganzes Leben darum ringt, der Beste zu sein, der man sein kann. Und das in den widrigsten Umständen der unglücklichen Generation, die beide Weltkriege erleben musste.
Charlotte Roth hat sich nicht gescheut, uns an die Front, in den Grabenkrieg mitzunehmen. Zu Gasangriffen jedoch - für mich zum Glück - nicht. Man kann über dieses Buch am ersten Weltkrieg teilhaben. Es ist grausam und schwer zu ertragen, aber wichtig, wie immer wenn uns Bücher Lebenswelten näher bringen, die wir sonst nie erfahren hätten. So ist mir erneut der enorme Wert des Friedens bewusst geworden in einer Generation, die glücklicherweise aus eigener Erfahrung keinen Krieg kennt.
Die Geschichte erzählt nicht nur von einer Liebe pro Zeitebene, sie verfolgt die Gruppe von Paulas Freunden durch ihre schwere Erwachsenenzeit, und behandelt deren ganz verschiedene Lebensentwürfe. Es wird wunderbar dicht erzählt und ich denke die verschiedensten Menschen können hier etwas für sich heraus ziehen.
Es war für mich wirklich als wäre ich dabei gewesen. Man merkt, dass echtes Leben der Geschichte zugrunde liegt. Ich möchte euch hier noch das Interview mit Charlotte Roth zu diesem Buch auf der Verlagswebsite verlinken. Das ganze Buch ist so ein Herzensprojekt. Lest es, wenn die Themen interessieren. 😉
Was bleibt
Beklommen, bedrückt, Klumpen im Magen. Ich habe eine Woche sacken lassen, bevor ich nun ein neues Buch anfange. Die Geschichte hat sehr schöne Moment, aber auch viele tragische Figuren. Dem Leser bleibt es, darüber nachzudenken, wie man überhaupt hätte glücklich werden sollen in dieser Zeit, unter diesen geschichtlichen Umständen in Deutschland. Raum für Hoffnung bleibt aber auch, durch die Rahmenhandlung um Alex in der Wendezeit.
Mit dem neu vertieften Geschichtsverständnis konnte ich auch aktuelle Themen näher nachvollziehen. So gab es ja vor zwei Tagen einen Sturm auf das Parlament in Bagdad. Natürlich andere und ganz neue Begleitumstände. Und doch kann man, nachdem man am Schicksal von Paula und ihren Freunden teilgenommen hat, sich denken: Auch in Deutschland ist es nicht einmal 100 Jahre her... Und ich habe eine vage Idee, was in den Menschen dort vorgehen könnte. So fremd sind sie mir jetzt nicht mehr.
16. Mai 2016 um 21:25
Das Cover ist wirklich sehr schön. Da wäre ich auch schwach geworden:) auch die Story klingt interessant.
Liebe Janin