Die Geflüchteten: sieben Gefangene des Konzentrationslagers Westhofen. Unter ihnen ist Georg Heisler, der Gefangene, dessen Schicksal wir am längsten miterleben.
Die Verfolger: eine ganze Fahndungsmaschinerie in der Hand des Lagerleiters Fahrenberg, Vertreter des Hitlersystems, von Fahrenbergs Untergebenen der SA bis zu den alltäglichsten Mitläufern auf den Dörfern, in Mainz und in Frankfurt.
Fahrenberg lässt sieben Kreuze erschaffen, Bretter, an geköpfte Platanen genagelt. Er schwört, in sieben Tagen alle Flüchtlinge wieder eingefangen zu haben. Wir begleiten sie in sieben Kapiteln durch diese sieben Tage. Für Georg Heisler ist das siebte Kreuz bestimmt.
„Er überdachte die letzten Stunden. Wer hat mich gesehen? Wer kann mich beschreiben? In diesen Kreis hinein geraten, war er schon halb verloren. Furcht, das ist, wenn eine bestimmte Vorstellung anfängt, alles andere zu überwuchern. Aus heiterem Himmel, mitten auf diesem stillen Weg, wo gar keine Augen auf ihn gerichtet waren, traf es ihn! Ein neuer Anfall von Furcht...“Das siebte Kreuz
Autorin: Anna Seghers
Verlag: Aufbau Verlag
ISBN: 978-3-7466-5151-4
Erscheinungsjahr: 1942
Seitenzahl: 416
Preis: 9,99€
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Anna Seghers kann so schreiben, das man nie vergisst, worum es für die Geflohenen geht. Es drohen Folter und Tod. Aber auch die Gedanken und Motive der SA-Mitglieder beschreibt sie nah, betrachtet genau das Machtstreben und die Grausamkeit und lenkt den Leser dabei nicht ab durch eigene Wertungen. Genauso sind alle anderen Überlegungen und Regungen der vielen Nebenfiguren ehrlich und nackt beschrieben.
Es war das Ziel Anna Seghers, mit diesem Roman einen Querschnitt durch die Deutsche Gesellschaft der Hitlerzeit zu zeigen, und dabei vor allem, dass es einigen Widerstand unter den Menschen gab. Das sie gegenseitige Hilfe planten, wobei sie sich nach außen hin nichts anmerken ließen und die Gepflogenheiten des dritten Reiches mitmachten. Das „Heil Hitler“ und das Gehorchen. Doch mit der Kraft jeder anständigen Entscheidung, die die Menschen treffen, denen Georg begegnet - die sich die Frage stellen müssen: Deck ich ihn oder Verrat ich ihn? - kommt er auf seinem Weg voran. Allein wäre sein Vorhaben aussichtslos.
Die Sprache in Das siebte Kreuz
Anna Seghers kann mit drei Sätzen charakteriesieren. Alle Figuren scheint sie dabei ein Leben lang zu kennen, doch nur das Wichtigste erzählt sie. So vielen Menschen begegnet Georg aber alle prägen sich ein.„Das Gesetz, nach dem die Gefühle der Menschen entflammen und erkalten, galt nichts für die vierundfünfzigjährige Frau, die im Zimmer in Schimmelgäßchen am Fenster saß, die kranken Beine auf einem zweiten Stuhl ausgestreckt. Denn diese Frau war Georgs Mutter.“Hier ist wieder ein Buch, dessen Sprache so hervorragend ist, dass ich am liebsten die ganze Rezension mit Zitaten zupflastern würde.
In der Geschichte ist immer Jetzt. Das klingt banal, aber jeder Satz hat so viel Gehalt, das man kaum Luft holen kann zum Reflektieren, oder um Vorzudenken. So wie Georg, der auch jeweils vor seiner gegenwärtigen Situation als Herausforderung steht, von der er ganz eingenommen wird.
Während ich las war für mich alles echt. Die ganze Geschichte über drohen Verhaftung und Folter, Abwägen müssen und Angst. Nach dem Lesen der letzten Zeilen schloss ich das Buch ruhig, bedächtig, und hielt es für einen Moment an mein Herz. Lies es nachklingen.
Zweitlesefaktor
10/10. Unbedingt. Ich bin mir so sicher wie man sein kann, dass ich es noch einmal lesen werde. Ein Teil von mir würde es am liebsten jetzt gleich neu anfangen.*lohnt*
Für Charakterstudien im dritten Reich. Was bewegte die Kommunisten, die Mitläufer und Karrieristen der Zeit? Was die einfachen Leute in ihren Entscheidungen? Nicht umsonst ist das Buch als Schullektüre empfohlen. Anna Seghers gelingt ein einprägsames Bild der Gesellschaft dieser Jahre.
weitere Rezensionen:
sehr ausführlich: Dieter Wunderlich
ein wenig interpretatorisch: Literaturkritik.de
die Hintergründe beleuchtend: Buchhexe
5. März 2017 um 22:52
Klingt unglaublich interessant. Du kennst ja meinen zuletzt besprochenen Titel und beim lesen deiner Rezension kams mir so vor, als mache ich gleich einen Sprung ins nächste finstere Zeitalter. Ist definitiv vorgemerkt, vielleicht ja schon morgen, da ich noch etwas in der Stadt zu erledigen habe.
Liebe Grüße und einen hoffentlich stressfreien Tag in die neue Woche,
Aufziehvogel
6. März 2017 um 11:28
Das macht natürlich großen Spaß, wenn ich mit einem Artikel jemanden für ein Buch interessieren kann. ^^
Ja, ich habe ähnlich gedacht. Beziehungsweise mir wird mit solchen Büchern etwas klarer.
Als Jugendliche, wenn wir die Weltkriege in Geschichte behandelt haben (und auch alle anderen Geschichtsthemen) hatte ich für Jahreszahlen ein Gefühl, als wären es Glasmauern: Hier fängt der erste Weltkrieg an, hier hört er auf, Hier ist die Weimarer Republik, hier kommt Hitler an die Macht… Als würde sich die Stimmung im Land in einem Moment ändern. Man sieht noch, was davor war, aber die Zeit und die Menschen sind völlig anders.
Aber wie die Menschen wirklich diese historischen Daten erlebt haben, und wie ihr Leben sich entwickelt hat, wie sie darauf reagiert haben was sie vorher glaubten und wie sie’s integriert haben in den nächsten gefährlich Umschwung, davon bekomme ich eine Idee in diesem Buch. Und ich denke Faber ist auch so ein Buch, obwohl ich’s ja noch nicht gelesen habe.
Ich hoffe man versteht ein bisschen, was ich meine. 🙂
Mich würde auf jeden Fall Dein Eindruck interessieren, wenn Du mal dazu kommst. Ich werd es sicher nicht verpassen, ich schau jetzt regelmäßig mal auf Deinen Blog.
Einige Themen scheinen sich ja bei uns zu überschneiden.
Ich bin gespannt, vielleicht kommen ja mit der Zeit noch welche dazu.