Ich stehe vor dem öffentlichen Bücherschrank und nehme ein Buch in die Hand. Der Autor sagt mir nichts, der Klappentext spricht von einer „modernen Robinsonade“ über einen, der ohne Erinnerung in einem Müllberg aufwacht und dann beschließt, dort auszuharren. Ihm zur Seite tritt bald ein Begleiter, der Montag heißt. Das Ganze ist nicht unmittelbar wichtig für mich aber es klingt doch interessant.

Ich will das Buch gerade mitnehmen, für irgendwann später, da kann ich doch den folgenden Gedanken nicht schnell genug verdrängen: Wirst Du das wirklich lesen? Wenn ja, wann?

Nein, werde ich vermutlich nicht, muss ich mir zugeben. Es ist ja noch dies und das auf meiner Liste, und ich habe ja auch nicht soviel …
Wer etwas will, findet Wege, alle anderen haben keinen Zeit.
Ich lasse das Buch stehen, für Menschen, die wirklich vorhaben, es zu lesen.

Dies war mein Anlass diese Woche über etwas nachzudenken:
Ich mag doch Geschichten. Warum dann lese ich eigentlich so verhältnismäßig wenig? Ein bisschen Morgens, ein bisschen Abends, ein bisschen in der Straßenbahn? Ich merke das, wenn ich mich mit anderen Buchbloggern vergleiche. Und da ich von Zuhause aus arbeite, sollte ich doch eigentlich mehr Zeit haben. Also was sind meine Konkurrenten zum Buch?

Es sind: Youtube, Dokumentationen der öffentlich-rechtlichen Sender und Nachrichtenseiten.

Alle drei geben mir Geschichten von Menschen aus verschiedenen Perspektiven.
Auf Youtube zeigen mir die Videomacher freiwillig Ausschnitte ihres Lebens (und Schlafzimmers).
Die Dokumentationen die ich so gern sehe (37 Grad, Menschen hautnah, Tag 7, WDR Story, Gott und die Welt …) handeln von Menschen in bestimmten Lebenssituationen, wie sie diese erleben, wie sie sie meistern und wie sie sie rückblickend betrachten.
Nachrichten bringen mir Geschichten aus unserer Gesellschaft oder anderen Ländern und helfen mir, mich in der Welt zu verorten. Allesamt sind diese Quellen auch aktueller als das zufällige Buch aus dem Bücherschrank.

Wir haben heute viel mehr Quellen für relevante Geschichten als das Buch. Dabei habe ich noch nicht einmal die beliebten und umfangreichen Serienproduktionen wie Breaking Bad, Doctor Who oder Game of Thrones genannt, die für viele sicher noch mehr die Konkurrenz ausmachen, als meine Freizeitwahl.

Ich habe heute soviel Auswahl an Medien, dass ich mir zu jeder Zeit aus den vielen interessanten Angeboten das für mich relevanteste aussuchen kann. Oder aussuchen muss. Ich möchte ja kein Risiko eingehen und womöglich meine Zeit „verschwenden“.

Um die Robinsonade auf der Müllhalde zu lesen, müsste ich eine meiner Gewohnheiten einschränken. Und doch will ich lesen, weil es für mich die unmittelbarste Art ist, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Manchmal wünsche ich mich zurück in eine Zeit, in der man die Welt nur aus Büchern kennen lernte und sich Zeit nehmen konnte, um zu lesen und zu lesen. Obwohl diese romantische Vorstellung vermutlich auf kaum jemanden in früheren Zeiten zutrifft, zum Beispiel, weil man einen Arsch voll Haushalt hatte und keine Maschinen dafür.

Ich wünschte, ich hätte zu meiner Unterhaltung keine andere Wahl, als die seltsame Müllhaldenamnesie-Survivalgeschichte mit Montag. Vielleicht würde ich etwas darin finden, einen Gedanken, vielleicht nur in einem Nebensatz, der ein Stück Welt für mich an die richtige Stelle rückt. Und den ich jetzt nicht finde, weil ich es nie über mich bringen werde, bis morgen zu warten, was der von mir abonnierte Youtuber macht. Weil ich es nie hinbekommen werde, auf morgen zu warten, und dafür eine Geschichte zu riskieren, die mir vielleicht doch nichts sagt.

Kommentarfrage:

Was ist für euch die Konkurrenz zum Buch und seid ihr mit euren Lesegewohnheiten zufrieden?