Ich bin froh, dieses Buch hinter mir zu haben. Ich musste einige Selbstdisziplin aufbringen, um es zu beenden. Mit jeder Seite die ich den Ende näher kam, habe ich mich ein Stück leichter gefühlt.
Ihr fragt euch vielleicht: Wenn Du Dich so gequält hast, warum hast Du es nicht abgebrochen? Und warum dann extra darüber schreiben?

Ich mache es so, weil ich mir vorgenommen habe, auf meinem Blog Bücher zu besprechen, in denen das Thema offene Beziehungen vorkommt. Ich habe "Wo bist Du?" gelesen, weil es eines der wenigen Bücher im deutschsprachigen Raum ist, die man mit dem Stichwort "offene Beziehung" findet. Ich möchte diese Bücher für euch rezensieren. Dabei hoffe ich, eine Geschichte zu finden, die jemandem sehr helfen kann, weil er sich in seinen Gefühlen mit den Hauptcharakteren identifizieren kann. Aber auch die Erfahrung des schlechten Buches ist meiner Meinung nach wertvoll für euch, denn ihr konntet gewarnt werden.

Cover des Buches Wo bit Du von Stafanie Kollmann-Obwegeser. Blonde junge Frau sitzt die Beine an den Körper gezogen, gelehnt an einen pfeiler im Abendlicht und schaut nach rechts
Wo bist Du?


Autorin: Stefanie Kollmann-Obwegeser
Verlag: Aavaa Verlag
ISBN: 978-3-8459-1832-7
Erscheinungsdatum: 1. Februar 2016
Seitenzahl: 191
Preis: 11,95€


Buchseite im Verlag

Wo bist Du? - Der Inhalt

Frau Kiesel - ihren Vornamen erfahren wir nicht - ist schwanger. Sie ist eine junge Chirurgie-Assistentin und lebt in Berlin. Ihr Freund ist Kriegsberichterstatter , lebt in Hamburg, und ist vor einigen Wochen zu einer Dienstreise nach Syrien aufgebrochen. Von der Schwangerschaft weiß er nicht. Auch er hat keinen Namen. Wir begleiten die Ich–Erzählerin durch die Eindrücke ihrer Schwangerschaft in einer langen Zeit des Wartens, während nicht klar ist, ob er je von dem Kind erfahren wird.

Was heißt offene Beziehung in "Wo bist Du"?

Die beiden Hauptfiguren haben in der Geschichte seit 15 Jahren eine offene Beziehung. Die Beziehung ist so gelaufen, wird erklärt, weil der richtige Zeitpunkt verpasst wurde, Freunden davon zu erzählen. Zwischen beiden gibt es die Regel, dass niemand einen Sexpartner außerhalb der Beziehung ein zweites Mal treffen darf. Beide Partner erzählen sich nicht von ihren Erfahrungen außerhalb der Beziehung. Offene Beziehung gilt innerhalb der Geschichte, so habe ich es verstanden, als eine laxere, weniger durchdachte, heimliche Art von Beziehung. Wer mit der Erwartung an das Buch heran geht, differenzierte Erfahrungen einer offen gelebten Beziehung zu finden, wird wie ich enttäuscht werden. Es ist viel mehr so, dass mit fortschreiten der Geschichte der Gedanke aufkommt, jetzt durch die Schwangerschaft und das Baby würde die Beziehung endlich "wahr" werden. Jetzt müsse man sich für Monogamie entscheiden.

Warum der Rest so furtchbar ist

Ich denke, dass dieses Buch kein Lektorat gesehen hat. Wir erleben die Geschichte aus Sicht der Ich-Erzählerin. Die ständige Wiederholung der Frage "Wo bist Du?"/"Liebster, Wo bist Du nur?" geht einem nach den ersten paar Seiten schon auf den Nerv und zieht sich durch den ganzen Text. Sie wird immer bedeutungsloser, bis es mich später sogar wütend machte, dass im ganzen Buch kein andere Weg gefunden wurde, um die Sehnsucht der Hauptfigur auszudrücken. Man kann sich als Leser nur davon distanzieren, sonst würde man sich beleidigt fühlen, denn man müsste annehmen, dass einem nicht zugetraut wird, sich zu merken, dass die Hauptfigur ihren Liebsten vermisst. (Eines der Kapitel heißt sogar "Scheiße, wo bist Du?"). Von einem reinfinden in die Geschichte konnte also keine Rede sein.
Das vermutlich fehlende Lektorat bringt auch mit sich kleinere und größere Tipp- und Schreibfehler. Auch im Layout ist etwas schief gegangen, in der Mitte ist eine Doppelseite leer.

Den Inhalt des Buches, die Schwangerschaft in Berlin, die Geburt und das Warten auf den Liebsten hätte man pointiert in vier oder fünf Kapitel fassen können. Interessant ist doch, was danach passiert. Wie geht es für Frau Kiesel weiter? Wie ändert sich das Leben mit Kind? Es wird im Buch sogar angesprochen, dass dies die eigentlich interessanten Konflikte sind. Es wäre viel spannender gewesen, die Geschichte nach der Geburt zu erzählen, als das große Warten.
(Stefanie Kollmann-Obgeweser hat das scheinbar aber auch erkannt, zumindest erzählt sie in diesem Interview, dass sie eine Fortsetzung mit dem Titel "Hier sind wir" plant.)

Das Buch ist sehr arm an weiteren handelnden Figuren. Wenn man die Hauptperson nicht mag ist man verloren, da gibt es keine Chance auf andere Perspektiven oder Aspekte.
Man schmort immer im Saft der Ich-Erzählerin, die dann auch noch abschweift, um wie eine Klatschtrude über Trivialitäten wie alte Serien, Filme, Ikeamöbel oder Berliner Straßennamen zu sinnieren. Ihr Partner hat das Buch über kaum Redeanteil. Freunde hat sie irgendwie auch nur zum Weggehen. Keine, die sie regelmäßig begleiten, niemanden, dem sie von der Schwangerschaft überhaupt oder regelmäßig berichten wollte. Mich hat das irritiert. Wenn ich meinen Partner schon nicht habe, dann möchte ich mich doch jemandem anvertrauen?
Ich habe mich zunächst auch gewundert, dass man 15 Jahre nicht das Bedürfnis haben kann, mit dem Umfeld über die eigene Beziehung zu sprechen (diese wurde ja geheim gehalten). Man muss allerdings zu dem Schluss kommen, dass die Hauptperson einfach keine Freunde in dem Sinne hat. In den seltenen Fällen, in denen andere handelnde Figuren, gar Dialoge (!) auftauchten, spürte ich die innere Dankbarkeit über die kurzfristig aufgelockerte und interessantere Leseerfahrung.

lohnt?

Ich würde das Buch wirklich nicht weiter empfehlen.


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begeisterter: Meine Welt der Bücher

Ich danke dem Aavaa Verlag für die faire Zusammenarbeit.