Ich möchte erstmal die Gelegenheit nutzen und erklären: Bei Sachbüchern habe ich keine Spoilerbedenken. Solche Bücher sind nicht mit einem Spannungsbogen im Hinterkopf geschrieben, an dem der Autor baute, und ihr Reiz liegt für mich nicht in Ungewissheit sondern in dem Wissen, das passiert ist, was wir lesen. Ich werde daher im Folgenden nicht viel Geheimniskrämerei fabrizieren.
Ich selbst wusste schon vor dem Buch die groben Abläufe der Geschichte, da ich den Film gesehen hatte (der allerdings doch recht frei von Buch abweicht) und es hat mich trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb interessiert.
Aimee und Jaguar
Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943
Autorin: Erica Fischer
Verlag: Kiepenhauer und Witsch
Seiten: 368
Ersterscheinen: 1994
Diese Ausgabe mit ergänzte
Zeugenaussagen: 2005
ISBN: 978-3-462-03499-8
Preis: 10,99€
Buchseite beim Verlag
Also, worum geht es?
Eine Jüdin und eine Deutsche verlieben sich Ende 1942 in Berlin. Für Elisabeth (Lilly) Wust ist es ihre erste erfüllende Liebe. Bei der Jüdin Felice Schragenheim erkennt sie, dass sie Frauen liebt. Lilly ist mit einem Nazi verheiratet. Als sie von Felice erfährt, dass diese Jüdin ist, versucht sie ihr Möglichstes, um sie zu unterstützen, muss allerdings ihrem Gewissen folgend trotzdem das Risiko aufnehmen, ihre unglückliche Ehe scheiden zu lassen. Zusammen mit Lillys Kindern wollen sich die beiden ein neues Leben unter den widrigsten Bedingungen aufbauen, doch Felice wird verraten, und als sie - schon in den Endtagen des Krieges - deportiert wird, bleiben den beiden nur noch ihre Briefe.Aufbau
Erica Fischer hat Lillys Lebensgeschichte in jahrelangen Interviews erfragt. Sie schreibt sie als Fließtext, unterbrochen von Aussagen von Zeitzeugen, alle Bekannte der beiden Frauen, die in der ersten Person wiedergegeben werden. Dazu kommen Gedichte und Briefe beider Liebenden, die viel von der Atmosphäre des Buches ausmachen. Sie ermöglichen einen unmittelbaren Eindruck von der Zeit. Sie sprechen von der Organisation des einfachen Überlebens, doch auch von den kleinen Freuden und Genüssen vor dem Hintergrund ständig drohender Gefahr. Ein Kapitel ist Felices Aufwachsen und Hintergrund gewidmet und zeigt eine Auswahl ihrer frühen Gedichte. Einige Kapitel am Ende fassen Lillys Leben zusammen, nachdem sie die Hoffnung Felice wiederzusehen aufgegeben hatte. "Es ist ein bisschen schade, daß es nicht mehr meine Geschichte ist." Sagt sie am Schluss zu einem Journalisten.Meinung
Ich aber bin froh, dass die Geschichte nun eine öffentliche ist. Es gibt so viele Leben, von denen man nie hören wird. Durchschnittliche Leben herzlicher, ehrlicher, mutiger Menschen. Leben, die ohne großes Aufsehen vorüberziehen, aber alle Menschen ergreifen, die mit ihnen in Berührung kommen. Ich hätte von Lillys uns Felices Liebe nie erfahren. Es zehrt am Herzen aber es wärmt es auch zu wissen, dass es diese Liebe gegeben hat, in dieser gnadenlosen Zeit. Und sich jetzt dank des Beispiels auch ausmahlen zu können, dass es viele Lieben gab und wie sie hätten sein können. Es ist die schöne Erfahrung, wenn ein Buch wieder mal den Horizont erweitert, den Kopf mehr öffnet, das Herz mehr öffnet, und man schaut, wie man das Gelesene mitnehmen kann in den eigenen Alltag und die Welt, die jetzt um uns ist.Zweitlesefaktor
6 von 10, vielleicht, aber dann mit einiger Zeit dazwischen. Ich erwarte nicht, mehr im Text zu finden, aber ich glaube, dass es ein Buch ist, dass sich, nachdem man selbst noch einige Jahre gereift ist, noch einmal anders erschließt. Immerhin schließt es Lillys Leben bis ins hohe Alter ein.Was bleibt
Noch etwas Nachdenken über die Figur der Lilly Wust, die recht grau ist, einige etwas leichtfertige Risiken einging, und die mit ihrem Handeln auch zu Felices Schicksal beigetragen haben könnte.Lohnt?
Jap. Interessant für alle die etwas zu Thema lesbische Liebe oder eine Liebesgeschichte allgemein lesen wollen oder einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf den zweiten Weltkrieg in Deutschland. Die Berlininvasion aus Lillys Sicht, der Alltag im Bombenkeller, auch das sind Themen des Buches.
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