Nein, gut, ernsthafter: Ich habe ein Interview mit Ronja von Rönne gelesen - sie sieht so klassisch aus auf den Bildern. Ich habe mir diesen einen Artikel von ihr angesehen, der dauernd erwähnt wird. Ich habe in einer Sommerwoche beim Grillen im Park auf der Decke gesessen und mir von einem Kommilitonen erzählen lassen, was für eine coole Sau sie bei Jahn Böhmrmann war (Ausschnitt). Das alles hat mich dann interessiert.
Wir kommen
Autorin: Ronja von Rönne
Verlag: Aufbau Verlag
Seiten: 208
ISBN: 978-3-351-03632-4
Erscheinungsjahr: 2016
Buchseite beim Verlag
Die Geschichte beginnt
Nora geht es schlecht. Maja soll beerdigt werden, dabei kann sie gar nicht tot sein. Noras Therapeut ist jetzt erst einmal für zwei Wochen im Urlaub, in der Zeit soll sie alles aufschreiben, vielleicht verschwinden dann ihre Panikattacken. Er reicht ihr das blau-gelbe Notizbuch mit dem Streichholz darauf. Sie schreibt über ihre Beziehung. Sie schreibt über Maja. Sie schreibt über alles dazwischen, das sich weigert, einfach und locker zu sein. Wenn etwas schlimm ist, fährt man ans Meer, so hat sie es mit Karl immer gemacht. Jetzt machen sie es zu viert so: Nora, Jonas, Leonie und Karl fahren mit Leonies Tochter Emma-Lou los, ans Meer, um zu retten, was möglich ist.Stil
Ronja von Rönne schreibt knappe Sätze, selten wird die Erzählung durch längere Sätze aufgelockert. Das Buch hat auch kurze Kapitel. Es liest sich sehr schnell. Gut Nachts ein bisschen vorm Schlafen und gut in der S-Bahn, wenn man nur drei Stationen zu fahren hat.Ich musste mich daran gewöhnen, wie oft die Personennamen genannt werden. „Karl hat... Jonas... Ich... Jonas... Karl... Leonie... Emma-Lou... ,dann habe ich...“ Mit einem neuen Satz steht meist erneut der Name, auch wenn sie das Personalpronomen verwenden könnte. Die Geschichte wirkte dadurch oberflächlicher, eben wie von einem Kind erzählt. Es prägte den Eindruck, dass die Erzählerin von dem Tod ihrer Freundin Maja so überfordert ist, dass sie in der Regression ist, wieder ein Kind wird. Alle anderen Figuren wirken auch hilflos und verloren.
Das Buch ist aus Noras depressiver Perspektive geschrieben, die macht alles langsam, farblos und zäh. Ronja von Rönne hat einen schwarzen Humor. Der Text ist außerdem voller Metaphern. Das macht es ein bisschen anstrengend aber es macht auch Spaß.
Thema/Beziehungsform
Die Charaktere scheitern am Miteinander Sprechen. „Und dann hatten wir eine vertrauensvolle, intime Unterhaltung“ bleibt für die Geschichte ein unmöglicher Satz. Die Beziehungen ersticken am Ungesagten. Das hat mich bei allen Figuren frustriert. Und es frustriert mich, dass ich weiß, dass das nicht mal überspitzt ist, und Beziehungen dauernd am offenen Gespräch scheitern.Polyamorie ist nicht wirklich ein Thema des Buches. Es sind nur eben zufällig vier Leute zusammen gekommen. Aber zu lesen, wie die alle es nicht schaffen miteinander zu reden und die Beziehung zu scheitern droht, ist nicht sehr anders, als zu lesen, wie dasselbe zwei Partnern passiert.
Es geht zwar auch um die Beziehung von Nora und ihren Partnern, aber viel mehr geht es um die Beziehung von Nora und Maja. Wer Maja war und wie ihre Freundschaft war, bildet den Rahmen der Geschichte.
Lesegefühl
Das Buch hat mich auf jeden Fall viel zum Nachdenken gebracht. Ich habe gedacht, dass ich die Charaktere alle bescheuert finde, weil sie alle total neurotisch sind. Und dann sind sie aber doch so normal, dass ich mich doch wieder darum kümmern wollte. Weil uns alle Charaktere aus Noras Sicht erzählt werden, habe ich mich gefragt, wie die anderen sie wohl beschreiben würden. Ich hab mich gefragt, was jeden Einzelnen wohl zu dem gemacht hat, was er ist, und ich hab mich gefragt, was wohl an dem Buch ist, das so geschrieben ist, dass man sich solche Sachen mehr fragt, als in anderen Geschichten.Es liegt denke ich an der Erzählperspektive der Nora, die in ihrem Tagebuch mehr Beobachtungen aneinander reiht, als zu reflektieren. Sie kann nur von ihren eigenen Gedanken und Gefühlen wissen. Über die anderen kann der Leser aus den Beobachtungen etwas schließen, oder es lassen. Wenn man einmal darüber nachdenkt merkt man, dass Nora zwar die Unterhaltungen der anderen wiedergibt, selbst aber kaum etwas zu ihnen sagt.
Ich habe mich in der Geschichte als 90s Kind wohl gefühlt, denn Ronja von Rönne ist zwar 5 Jahre jünger als ich, aber hier wird eine Jugend mit Tamagotchis und Eastpacks beschrieben, in der ich gleich zu Hause war.
Es ist soviel Überdruss und Ungesagtes in dem Buch, dass es mich stetig an den Überdruss in meinem Leben erinnerte. Schwer, so ein Buch zu lesen, und keine Kopfschmerzen zu bekommen.
Wenn man es zu lange liest, kann es einen runter ziehen. Das Buch hat mich ziemlich fertig gemacht, obwohl ich es mochte. Aber ich mochte es auch ziemlich, obwohl es mich so fertig gemacht hat.
Nachdem ich in der Mitte mal etwa 100 Seiten am Stück gelesen hatte, war ich erschöpft. Ich musste das Buch erst einmal weglegen und es musste sacken. Ich habe mir bewusste Interviews mit Ronja von Rönne angesehen; wollte herausfinden, was sie mit dem Buch eigentlich sagen wollte. Und etwas Unerwartetes ist passiert, eine große Erleichterung:
Sie wollte eigentlich gar nichts Großartiges damit sagen! Sie wollte nur unterhalten. Das Buch ist ohne tiefgründiges Konzept geschrieben worden. Die Autorin das selbst sagen zu hören, hat mir alles abgenommen. Ein Glück. Wenn sie es nicht so ernst nimmt, muss ich mich ja auch nicht fertig machen. Da konnte ich es zu Ende lesen. Und ich kann sagen, dass es gut war.
*Lohnt*
Als Unterhaltung für Liebhaber schwarzen Humors. Zum Nachdenken. Als eine Geschichte über Unmöglichkeit von Kommunikation, über Freundschaft, über Kindheit, über zwischenmenschliches Scheitern im Allgmeinen. Man darf es nur nicht zu ernst nehmen.
weitere Rezensionen: herrbooknerd , literaturen, lectureoflife
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