Eine Geschichte über den Aufbau der noch jungen DDR, und ein Liebespaar, das sich zu dieser Zeit verlor.

Die Geschichte

Nach einem Unfall, der ein Selbstmordversuch gewesen sein könnte, erwacht Rita im Krankenhaus. Über das, was passiert ist, spricht sie nicht. Ihr Arzt rät ihr zu, ins Sanatorium zu gehen, damit sie sich dort erholen kann.
Wir lesen dann ihre Genesung abwechselnd mit der rückblickend erzählten Geschichte ihrer Liebe zu Manfred. Wie sie beide einmal eins und unzerstörbar, und dann fremd und sehr geteilter Ansicht waren. Rita ist vertrauensvoll und aufrichtig, Manfred vorsichtiger, und schon resigniert, als sie sich kennen lernen. Rita schafft es, dass Manfred sie anspricht und geht als Lehramtsstudentin mit ihm aus ihrem Dorf in die Stadt. Dort arbeitet sie neben dem Studium in einem Waggonwerk, er an einer neuen Spinn-Maschine, und ihre Erfahrungen treiben die beiden wieder voneinander fort. Die Zeit lässt die eine zur überzeugten Unterstützerin des Aufbaus der DDR, den anderen zum Republikflüchtling werden.

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Der geteilte Himmel

Autorin: Christa Wolf (*1929-2011)
Verlag: dtv
Seiten: 240
ISBN: 978-3-423-00915-7
Erscheinungsjahr: 1973

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Die Sprache!

Christa Wolf schreibt kraftvoll, intim und genau. Als würde man der besten Freundin zuhören, so aufrichtig schreibt sie. Wenn es etwa über Ritas erste Beobachtungen von Manfred heißt:
„Dem möchte man mal seinen Hochmut austreiben. Den möchte man mal sehen, wie er wirklich ist. Das prickelt sie. Gern, sehr gern, zu gern möchte man das.“
Wie soll ich ansonsten noch ein Zitat auswählen? Jeder zweite Satz ist wert zitiert, jeder fünfte wert, an die Tapete gepinnt zu werden. Ich würde am liebsten das ganze Buch abtippen, hier als Endlosscroller zur Verfügung stellen und nur noch darunter schreiben: Nun seht ihr, dass es großartig ist!

Mit einem kurzen Satz sagt sie so viel. Ich habe diese ganzen Gefühle gefunden, die mir sonst noch kein Autor benannt hat. Rita macht eine Depression durch, die ist so beschrieben, dass wohl auch die Autorin einmal eine erlebt habe muss. Und dann schreibt sie eine Trennung. So eine Trennung habe ich noch nie gelesen. Aber ich habe so eine schon mal erlebt. Als wäre es die eigene Trennung, musste ich dabei weinen.

Viel ist in dieser „Erzählung“ also an tiefem, echten Leben ausgedrückt, so dass ich zurück dachte: Sind denn manche andere Bücher wirklich bloß eine Ansammlung von Handlung? Sind sie nur dadurch spannend, das eventuell mal etwas passiert, was man nicht erwartet hat?
Dieses hier ist mit jedem neuen Absatz spannend, weil nichts darin trivial ist. Man kann in Christa Wolfs Sprache richtiggehend schwelgen, sich hineinfallen und sich durch die akkuraten Beobachtungen, die vielen Gefühlsnuancen von Bedauern und Erwartung treiben lassen, und taucht am Ende klüger und reifer wieder auf.

Zum Thema

Kommunismus und Sozialismus sind für mich unheimlich spannende Themen, weil so ein allgemeines Schweigen darum herrscht. Ältere Leute sind schon darüber resigniert, dass diese Systeme nicht klappen. Aber warum zum Beispiel die DDR gescheitert ist, das ist ja zu neu, um es in der Schule zu lernen. Das muss man sich immer selbst zusammen suchen und alles andere, was es zu dem Thema zu lernen gibt. Da ich also soundso immer verschiedene Perspektiven auf den Sozialismus suche, wurde das Buch für mich interessant.

Ich muss aber sagen, man braucht eine Menge Kontext. In so einer Geschichte über eine Liebe und über die Flucht in den Westen in den ersten Jahren der DDR ist natürlich viel Politik, und es ist klar, dass sie der Autorin wichtig ist. Doch der politische Teil scheint so sehr für die Leser von damals geschrieben, dass er ohne etwas Hintergrundwissen leicht an einem abperlen kann. Die Charaktere und die familiäre Situation, die Liebe, das Zwischenmenschliche, das ist aktuell und echt. Wenn man es heute liest ist daher denke ich die Liebesgeschichte das Hauptsächliche.

Was bleibt

Muss. Mehr. Christa. Wolf. Lesen.
Anhaltender Sprachorgasmus.


*Lohnt*

Eine Liebesgeschichte zwischen zwei lebensechten Charakteren, mit einer Sprache, die mich begeistert hat. Das politische Thema hat sich schon überlebt, die Beweggründe der Figuren aber sind ihnen selbst so ernst, dass die Geschichte doch zum Nachdenken anregt.